Sommer im Hexengarten: Vom Sein-Lassen

„Durch Nicht-Tun bleibt nichts ungetan“ heißt es bei Lao-Tse. Diese Weisheit kam mir sofort in den Sinn, als ich den Beitrag von Bernd über seine Gartenerfahrung las. Einfach schön und berührend, zu welchen Erkenntnissen einen das Gärtnern bringen kann. Aber lest und seht selbst 🙂

So sieht unser Rasen aus, wenn er nicht gemäht wird.

Eine Niederlage als Segen

Das Gartenjahr begann hoffnungsvoll feucht. Es regnete, regnete und regnete. Ich kann mich kaum an eine vergleichbare Dauerberieselung im Frühjahr erinnern. Und wie willkommen sie war! Boden und Pflanzen sogen das Nass auf wie ein Schwamm. Allerdings hörte der Regen nicht auf, als ich endlich die Gartenarbeit aufnehmen wollte. Es war wie verhext: Saß ich im Büro, war es draußen trocken. Hatte ich Zeit, in die Beete zu gehen, goss es erneut. 

So gingen die Wochen dahin. Die Temperaturen stiegen. Unser „Rasen“, ein Konglomerat unterschiedlichen Grüns, schoss in die Höhe. Den Beeten konnten wir beim Zuwuchern zusehen. Sich dagegen zu stemmen, glich der Maloche in einer Lehmgrube. Irgendwann hatte ich wenigstens die Staudenbeete freigekämpft und Wegschneisen in den Rasen gemäht. Und der Rest? … Ich fühlte meine schmerzenden Handgelenke und gab auf. Kapitulation? Ja, in einer gewissen Weise. Aber indem ich der Natur ihren Lauf ließ, wurde aus der vermeintlichen Niederlage ein fruchtbarer Segen.

In den ausgesparten Rasenflächen tummelten sich zunächst Gänseblümchen, Ehrenpreis, gelbblühender Klee und kleiner Storchschnabel. Ihnen schlossen sich Ferkelkraut und Pippau an; zwei Arten, die ich bislang wegen ihrer Blüten stets unter „Löwenzahn“ subsummiert hatte 😊. Dank Flora Incognita (nochmals tausend Dank für diesen App-Tipp, liebe Mirjam!!!) kenne ich sie nun beim Namen. Bienen und Schwebfliegen mögen sie, und ich meine, eine paar Kleinbrummer gesehen zu haben, die vorher noch nicht zu Besuch waren. Da der Rasenmäher Betriebsferien hat, kann sich außerdem die Wegwarte friedlich ausbreiten. 

Die Rasenfläche hat sich aufgrund der zwischenzeitlichen Hitze mittlerweile braun eingefärbt. Aber dank der Mäh-Ruhe ist sie keine Ödnis, sondern gesprenkelt mit gelben und zartblauen Tupfen. Wir haben eine Insektenweide bekommen, die keinen Cent gekostet hat und kein Gießwasser braucht. Auf ihr ist außerdem reichlich Weidelgras gewachsen, über dessen Rispen sich Spatzen und Grünfinken hoffentlich gern wieder hermachen werden.

Mutter Natur hat noch an anderer Stelle für neuen Blickfang gesorgt. Am Maschendrahtzaun vor Nachbars Eibenheckehaben sich Gänsedisteln, Rainkohl und eine Ackerdistel emporgereckt. Früher hätte ich solche Pflanzen als beetbedrohendes „Unkraut“ einfach ausgerauft. Jetzt habe ich gelernt, erst einmal abzuwarten und zu schauen, was da sprießt. Auswüchse lassen sich ja immer noch einhegen, nicht wahr? Glockenblumen und Akelei lege ich allerdings kaum Beschränkungen auf 😊 (neulich habe ich sogar eine blauschwarze Holzbiene in einer Glockenblumenblüte gesichtet).

Gartenimpressionen

So wie ich mich jedes Jahr freue, wenn Selbstgesätes gedeiht und die Stauden wiederkommen, so begeistern mich auch unvorhergesehene Überraschungen. Im vergangenen Frühjahr hatte ich an zwei Stellen Jungfer im Grünen ausgesät – nichtspassierte! Ein Jahr später standen die Jungfern dort dicht an dicht. Ich liebe ihre filigranen Blüten und die pittoresken Samenkapseln! An anderer Stelle, am Fuß vom Rosmarin, ist ein Ruccola aufgetaucht, der mittlerweile erntefähig ist. Ihm gegenüber hat sich von irgendwoher eine Moschus-Malve am Rasenrand angesiedelt und den Farben im angrenzenden Beet noch ein Rosa hinzugefügt.

Zum Schluss möchte ich aber noch die Heldin unseres Sommergartens vorstellen, eine kleine Prachtgarbe. Na ja, sie wächst eigentlich nicht im Garten, sondern in einer Fuge unserer Einfahrt. Im vergangenen Jahr hatte sie eine Blüte, in diesem Jahr zwei. Sie nimmt es uns offenbar überhaupt nicht krumm, dass wir sie an den meisten Tagen zweimal wortwörtlich überfahren und ein paar Blätter schon angerußt sind. Welch eine Freude!  

Zierde der Einfahrt

Ist das nicht schön? Einfach ein bisschen weniger tun und sich überraschen lassen. Wahrscheinlich funktioniert das in anderen Lebensbereichen auch so ähnlich wie im Garten. Ganz herzlichen Dank, lieber Bernd, dass du deine Einsichten mit uns teilst. Tatsächlich ist es mir selbst mit einer Pflanze so gegangen, die ich letztens Jahr vergebens versucht habe anzuzüchten. Jetzt ist sie in einem Kübel ganz von selbst zu einem stattlichen Exemplar herangewachsen. Irgendwie muss sich ein Körnchen Saatgut dorthin verirrt haben. Da habe ich also auch durch Aufgeben gewonnen.

5 Kommentare zu “Sommer im Hexengarten: Vom Sein-Lassen

  1. Doris
    24. Juli 2023 um 22:55

    Was für ein schöner Beitrag, vielen Dank dafür, lieber Bernd! Ich empfinde es auch so, als ob wir diesen Sommer immer wieder üben dürfen, Dinge einfach zu lassen, im Garten wie im „normalen Leben“. Das ist eigentlich eine spannende Reise, wenn man sich erst mal drauf eingelassen hat. Was alles kommt und sich ansiedelt, wenn man es einfach nur lässt, unglaublich. Die Junger im Grünen ist bezaubernd, die mag ich auch sehr gern. Den englischen Namen „Nigella“ finde ich so cool. 😉 Akeleien lasse ich einfach wachsen. Vor einiger Zeit meinte ein gutmeinender Besuch, die Akeleien müsste man doch ausrupfen, damit man sie sich zu sehr ausbreiten. Ich war perplex. Wieso sollte ich so hübsche Blumen entfernen wollen (außer, sie stehen irgendwo wirklich sehr ungünstig)? Selbst ihr Laub ist nach dem Verblühen noch so attraktiv, weil es sich so schön verfärbt. Und außerdem schaue ich gern zu, wie die Hummeln in die Elfenhütchen reinkriechen. Das ist Gartenkino pur für mich.
    Ich wünsche euch weiter einen schönen Sommer mit vielen neuen Gästen im Garten!
    Doris

    • Andreas
      26. Juli 2023 um 12:36

      Hallo Doris,

      Akelei würde ich auch ganz sicher nicht ausrupfen. In meinem schmalen Streifen Vorgarten gehören sie inzwischen zu den „gefährdeten Arten“ 😉 da sie von Topinambur, Iris, Christrosen und Co größtenteils verdrängt wurden. Deshalb dürfen sie auch überall wachsen, wo sie doch noch aufgehen, z.B. in Ritzen zwischen Steinplatten.

      Viele Grüße
      Andreas

  2. 25. Juli 2023 um 12:18

    Hallo Bernd
    so ein schöner Beitrag, könnte mein Garten sein und unsere Hofeinfahrt ist bewachsen mit Mohn , einjähr. Rittersporn, Glockenblumen und jedes Jahr kommen neue Pflanzen dazu. Ich gebe dir mit allem Recht nur nicht mit der Gänsedistel. Sobald die Blüte braun wird schneide ich sie ab und werfe sie in die braune Tonne. Früher habe ich die verblühten geschlossenen Blüten in Kompost oder auf die Nachbarwiese geworfen- doch diese raffinierten abgeschnittenen Distelblüten entwickelt sich weiter und verteilen ihren Samen überall- vorallem bei mir im Garten. 2 Stück dürfen immer stehen bleiben aber mehr nicht.

    Liebe Grüße
    Claudia ( ich geniesse gerade das regnerische Wetter bei uns)

  3. Andreas
    26. Juli 2023 um 12:30

    Hallo Bernd,

    vielen Dank für den Beitrag und die schönen Fotos! Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell und wie schön die Natur Gebiete zurückerobert und was so alles auftaucht, wenn man es lässt. Jungfer im Grünen kannte ich noch gar nicht, da muss ich mal die Augen danach aufhalten.
    In meinem Hof ist dieses Jahr plötzlich eine Nachtkerze erschienen. Ich hatte dort zwar tatsächlich Nachtkerzen ausgesät, allerdings schon vor sicher fünf Jahren und bisher hatte sich keine geregt. Im Garten meines Bruders ist vor einigen Jahren ein Stachelbeerstrauch mit leckeren roten Stachelbeeren aufgegangen und niemand weiß, wo er herkam.

    Viele Grüße
    Andreas

  4. Bernd
    18. September 2023 um 18:08

    Liebe Claudia, liebe Doris, lieber Andreas,

    vielen lieben Dank für Eure ermunternden Zeilen. Der Garten bleibt spannend. Jetzt hat sich noch an anderen Stellen Ruccola aufgetan, und die Malve ist zu einem kleinen Busch geworden. Als Unterpflanzung von Gehölz macht sich auch Schöllkraut nicht schlecht. Mal schauen, wass sich sonst noch tun wird :).

    Liebe Grüße

    Bernd

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